Bevor das Forum übergangslos von der Sommerflaute in die Winterdepression gleitet, mal wieder was Neues von mir.
Ihr wisst ja, dass wir in unserer kleinen Rennserie viel Freude an der „Edwardian“-Klasse, also den Rennfahrzeugen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg haben. George Turner in GB hatte diese Cars auf dem Schirm und vor einiger Zeit beschlossen, an den Originalen mehr oder weniger angelehnte Resinekits auf den Markt zu bringen.
Als aktuelle Neuheiten sind bei George der Rekordwagen Darracq 200 V8 und der Fiat S76, genannt „Beast of Turin“ bei ihm erschienen, zwei Boliden, an denen ich nicht vorbeigehen konnte...
Da beim Fiat die Räder fehlten (werden nachgeliefert), habe ich mit dem Darracq begonnen.
Das Vorbild war einer der ersten Renn- und Rekordwagen, die eigens zu diesem Zweck gebaut wurden. Ein 28-Liter V8 (!), der ab 1905 auf Rekordjagd in Frankreich, USA und England ging. Im Grunde ein Hubraum-Monster auf einem spillerigen Fahrgestell und etwas besseren Fahrrad-Reifen. Den Männern, die dieses Ungetüm bewegten, gebührt noch heute Respekt.
Victor Hémery erreichte damit am 30.12.1905 in Arles 175,5 km/h. Bei Rekordversuchen in den USA schraubten der Darracq und ein Stanley Steamer gegenseitig die Rekorde hoch. Victor Hémery hatte gegen das Gebaren der Organisatoren wohl einiges einzuwenden und als heißblütiger Franzose nahm er kein Blatt vor den Mund, so dass er letztlich vom Wettbewerb als Fahrer ausgeschlossen wurde. Damit war aber nicht auch gleichzeitig der Darracq aus dem Rennen, sondern wurde von verschiedenen Fahrern, unter anderem von Louis Chevrolet (siehe später) eingesetzt. Nach den Rekordfahrten übernahm Algernon Lee Guinness, Erbe der Bier-Dynastie den Wagen und setzte ihn weiter in Wettbewerben ein. Den letzten Rekord fuhr der Wagen in Saltburn am 26.06.1909 ein, wo er den fliegenden Kilometer mit 192,4 Km/h bewältigte.
Nach einem Motorschaden wurde der Wagen dann abgestellt und irgendwann an einen Schrotthändler verkauft, der ihn teilzerlegte. Von Reue geplagt, kaufte Guinness die Teile zurück, sie lagerten dann bis nach dem zweiten Weltkrieg in einem Schuppen.
In den Fünfziger Jahren kam es dann zu einem ersten Wiederaufbau-Versuch, letztlich dauerte es aber bis 2006, bis der Wagen das erste Mal wieder lief.
Die Bezeichnung "200" ergibt sich wahlweise aus der Leistung (dann auch als 200hp bezeichnet) oder aus der erreichten Rekordgeschwindigkeit von etwa 200 km/h, einer Maximalgeschwindigkeit, die der heutige Besitzer auch für das restaurierte Fahrzeug so angibt.
HIER erzählt er über den Wagen und
HIER ist bei einer Mitfahrt über verträumte von Hecken gesäumte englische Straßen zu sehen, dass die Spatzen vor Schreck von den Bäumen fallen. In Goodwood wird er beim Circuit Revival (untypisch, da er an keinen Rundstreckenrennen teilnahm) und beim Hillclimb (typisch) eingesetzt.
Dem aufmerksamen Leser wird auffallen, dass in der Überschrift „1906“ statt „1905“ steht. Das ist kein Tippfehler, sondern liegt an diesem
BILD, wo das Fahrzeug mit der Startnummer 79 abgebildet ist, gefahren von Algernon Lee Guiness und mit der Bildunterschrift „ vainqueur du kilomètre de Dourdan en décembre 1906“:
Aktuell sieht der Wagen
SO aus.
Nun aber zum Modell:
Der body kit besteht aus dem Chassis mit mehrteiliger, lenkbarer Vorderachse, sowie dem body, dem spitzen Kühler, 3D-gedruckten Speichenrädern, Fahrer- und Beifahrerfigur und einigen Beschlagteilen aus Resine.
Der mächtige 28-Liter-Motor ist sehr gut dargestellt, die offen liegende Ventilbetätigung sowie die diversen vorhandenen Leitungen sind sauber und sehr fein in Resine angegossen. Wer will, kann einfach so loslegen zu bauen und wird ein ansehnliches Resultat erzielen.
Aber Ihr kennt mich ja, das ist nicht so mein Ding.
Natürlich will ich „echte“ Ventilfedern haben, und auch die ganzen Kupferleitungen gehören natürlich in Kupferdraht ausgeführt.
Hier habe ich am vorderen Zylinder schon begonnen, die feinen Resineteile des Ventiltriebs abzutragen:
Dann habe ich mir aus Federn, die ich alten Einweg-Feuerzeugen entnommen habe, die Ventilfedern hergestellt:
sowie diese angepasst:
Parallel zu dem Kit hatte ich mir auch ein neues, zum Darracq passendes 3D-gedrucktes Chassis bestellt, weil ich mir davon ein besseres Fahrverhalten versprach, als von dem Resinechassis.
Im neuen Chassis liegt zum Beispiel der Motor in einer Wanne, statt nur im Chassis aufgehängt zu sein.
Um von vorneherein das Fahrverhalten zu verbessern, habe ich am vorderen Ende der Motorwanne eine Platte aus Walzblei angebracht und auch hinter dem Motor 4 Gramm Blei eingefügt. Das verringert bei der hohen Bodenfreiheit von 7mm etwas die Kippneigung in den Kurven. Mit dem zusätzlichen Gewicht kommt das Car auf ein Gesamtgewicht von 80 Gramm.
Beim Anpassen des body stellte sich heraus, dass das neue 3D-Chassis nicht ganz korrekt designt wurde, der Motor sitzt zu hoch. Ein Fehler, den auch George erkannt hat, er sandte eine mail, dass auf Anforderung ein überarbeitetes Chassis zugeschickt wird. Für mich zu spät, denn ich war schon schneller.
Hier der auf das Chassis angepasste body:
Ich habe mir die hochstehenden Pole des Motors in der Gestaltung zu nutze gemacht, dazu aber gleich.
Hier sind erst die für das Lackieren vorbereiteten Teile:
Nun ging es so zügig weiter, dass mir die Zeit für die Dokumentation der Zwischenschritte fehlte
.
Hier daher eine schon recht weit vorangeschrittene Bauphase:
An die beiden Laschen der Motorpole habe ich Kupferdraht angelötet, der etwas weiter heraussteht und neben dem Motor im Chassis nach vorne verläuft, wo dann an ihn die flexible Litze angelötet ist, die zum Leitkiel führt. So wird der Motor Teil der Gesamtkomposition und es entsteht eine dem Original gar nicht so ferne Hebelei. Tatsächlich liegt der recht kurze Bedienhebel für das Zweiganggetriebe beim Original auch zwischen den Beinen des Fahrers.
Die hinteren Benzinleitungen wurden in 0,8mm-Kupferdraht ausgeführt, mit der Handpumpe musste der Beifahrer im Tank den nötigen Überdruck erzeugen, denn eine mechanisch oder elektrisch angetriebene Benzinpumpe gab es nicht. Den Pumpenstößel habe ich mit einer Stecknadel dargestellt.
Hier noch der Motor im Detail:
Das Ventilgestänge habe ich mit verzinntem Kupferdraht dargestellt, die Auspuffrohre erhielten eine vorbildgerechte Schicht Rostpigmente.
À propos Pigmente: Hier ist die Übersicht der für das Chassis verwendeten Farben. Mehr als man denken würde...
Die Fahrerfiguren erhielten einen Anstrich überwiegend mit Acrylfarben, die ich hier nicht dargestellt habe. Die Köpfe der Figuren habe ich getauscht. Der Fahrerkopf stammt von Immense Miniatures, der des Beifahrers von einem anderen Turner kit.
Nach Fertigstellung der Figuren war noch die Pedalerie aus Kupferdraht und daran angelöteten schmalen Messingplättchen herzustellen, denn mit den in die Karosse eingearbeiteten Pedalen wollte ich mich nicht zufrieden geben. Zum Schluss erfolgte noch ein Washing mit stark verdünnter schwarzer Acrylfarbe (mit Ausnahme der Räder, die ich so lassen möchte, wie ich sie lackiert habe).
Das ist nun das fertige Ergebnis:
Ich komme noch einmal zurück auf den eingangs genannten Louis Chevrolet.
Hier ist er 1905 auf dem Darracq mit einer lässig im Mundwinkel hängenden Zigarette abgelichtet!
Das wollte ich auch und habe daher aus einem metallicrot beschichteten Draht eine Zigarette mit rot glühender Spitze hergestellt.
Noch zwei Detailaufnahmen mit Blick von hinten ins „Cockpit“:
Ja, auch hier sind, wie bei meinem Fiat (siehe dort) natürlich die hinzugefügten Kupfer- und Messingteile noch etwas zu glänzend. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es nicht lange braucht, bis sich daran eine natürliche Patina bildet.
Und abschließend macht man hier von der Darracq-Rennabteilung in Suresnes aus eine Probefahrt:
Beim gestrigen ersten Renneinsatz erreichte der Darracq aus dem Stand den zweiten Platz, womit ich mehr als zufrieden bin.
So, Leute, jetzt aber mal wieder ran an die Basteltische! Ich möchte auch von Euch mal wieder was sehen!
Gruß,
Taffy